Was war der Impuls für die Herausgabe des Seniorenmagazins seenior?

Drei Punkte haben mich angetrieben, ein Seniorenmagazin zu entwickeln: Erstens fand ich es spannend, ein Produkt für eine Zielgruppe zu entwickeln, der ich nicht angehöre. Zweitens gab es 2008 kaum Magazine für Senioren, obwohl dieser Zielgruppe seit Jahren blühende Zeiten prognostiziert werden. Und drittens wollte ich wissen, warum so viele Verlage an der Markteinführung gescheitert sind.

Sie sind selbst in ein Altenheim gezogen. Ist das nicht ein ungewöhnlicher Wohnort für eine Frau in den Dreißigern?

Das stimmt, mein soziales Umfeld hat auch entsprechend reagiert: Meine Freunde wollten mich nicht mehr besuchen kommen, konnten nicht verstehen, dass ich ins „Sterbeheim“ ziehe. Das war der erste bewusste Zusammenprall mit den Vorurteilen „von außen“, mit dem einzigen Unterschied, dass ich nun „drinnen“ saß.
Für mich war das in mehreren Punkten ein wichtiger Schritt, unter „Alten“ zu leben.
Zum einen beruflich: Wie soll ich als junge Frau glaubhaft ein Magazin für Senioren machen, wo ich selbst nicht zur Zielgruppe zähle und im Grunde keine Ahnung habe, was sie interessiert, wie sie leben, … Bis dato waren meine Großeltern die einzigen alten Menschen in meinem Leben – und das allein machte mich nicht kompetent, zukünftig darüber entscheiden zu können, welche Lektüre auf den Wohnzimmertischen aufliegt.
Im Altenheim fand ich das heraus, weil ich Teil des alltäglichen Lebens war. Vom ersten Tag an veränderte sich mein Fokus – und damit auch meine Einstellung zum Leben.

Was hat sich verändert?

Mal im Klartext: Als die ersten Särge an mir vorbei getragen wurden und mir der erste Erwachsene vor die Füße kotzte – spätestens da war ich im Altenheim angekommen. Die anfängliche Euphorie „Ach ja, jetzt hab ich eben so ein Altenheim-Projekt am Start“, war schlagartig vorbei und ich hab kapiert: Aufleger, jetzt wird’s ernst. Das ist das Leben, und das endet tödlich.
Heute kann ich darüber scherzen, aber diese Leichtigkeit musste ich erst lernen. Viele Vorurteile standen mir dabei im Weg, oder auch Ekel. Ja, ich fand vieles auch ekelig, zum Beispiel wenn ein alter Mensch sabbert. Bei Kindern nimmt man das in Kauf, ist es noch süß. Aber bei Alten? Da begann ich, mich ernsthaft damit auseinander zu setzen, warum das so ist und wie unsere Medienwelt dazu beiträgt, dass der ältere Teil der Gesellschaft irgendwann als eklig, unerträglich, störend abgeschoben wird. Das wollte ich auf gar keinen Fall mit einer neuen Publikation fortsetzen.

Wie hat sich ihre Lebens-Erfahrung auf das Zeitschriftenkonzept ausgewirkt?

Die Zielgruppe der Senioren ist so heterogen wie keine andere: Ein bunter Strauß an reifen, erfahrenen Persönlichkeiten. Alle Interessengruppen sind vertreten, der gemeinsame Nenner ist allein der Umgang mit Fragen in einer signifikanten Lebensphase, also nach dem Berufsleben, Kinder aus dem Haus und was gibt’s jetzt noch? Die meisten Medien stürzen sich dann auf das Thema Krankheiten und schüren Ängste von alt, gebrechlich, hilflos werden. Das ist meiner Meinung nach falsch. Statt über deren Mangel zu schreiben entschied ich mich, Themen anzuführen, die aufzeigen, was noch alles geht. Themen, die motivieren und das Leben bejahen.

Zweiter Punkt: Abgezockt und tot gepflegt – das sind typische Schlagzeilen der Berichterstattung über Senioren und Altenheime. Ich ärgere mich jedes Mal über meine journalistischen Kollegen und über derartig abwertende Meinungsmache, die den Menschen und ihrer Arbeit in Einrichtungen nicht im Geringsten gerecht wird. Schwarze Schafe gibt’s immer und überall, auch bei Journalisten. Populistische Berichterstattung lenkt jedoch eher von den wesentlichen Punkten ab, wo man durchaus mal ein Schlaglicht drauf richten sollte. Und das ist schade.

Was meinen Sie damit? Was sind die wesentlichen Punkte, über die man berichten sollte?

Wir sollten nicht über die Menschen in den Heimen sprechen, sondern über unsere Gesellschaft, die offensichtlich nicht weiß, was sie mit ihren ältesten Gliedern tun soll – außer wegsperren.
Ich will es mal als offene Frage formulieren, wo sich jeder seine Meinung dazu machen kann: Pflege ist teuer – das haben wir alle schon gehört. Ein Monat Pflege kostet rund 3000 Euro, je nach Heim und Pflegestufe ist es teurer oder billiger. Worüber wir nicht sprechen: Was kostet ein Hauch Menschenwürde? Es gibt einen Katalog, ich nenn‘ es Preisliste, wo genau aufgeführt ist, was Zähneputzen, Verband wechseln, etc. kostet. Das finde ich ganz schlimm, denn der Mensch selbst verliert immer mehr seine Identität und wird so immer mehr zur Ware degradiert. Herr Müller heißt jetzt nur noch „Der Cubitus von der 13“, sein Brei wird ihm nicht gefüttert, sondern das „Essen wird eingegeben“ und sein neues Wohnzimmer ist mit Funktionsmöbeln ausgestattet, die mit Desinfektionsspray gereinigt werden. Auf den Schranktüren kleben Schilder mit der Aufschrift: Handtücher, Wäsche, … Es ist grauenvoll und menschenunwürdig – ein Spiegel unserer Gesellschaft und Ausdruck dafür, wie wir mit unseren Alten umgehen. Im asiatischen Raum – undenkbar! Das wird das Alter noch geehrt!

Was war ihre schönste Erfahrung?

Es gab viele schönen Erlebnisse. Zum Beispiel der Tag, an dem ich zum ersten Mal mit einer demenziell erkrankten Frau allein im Zimmer war. Ich hatte richtig Schiß, malte mir alles Mögliche aus, was passieren könnte: von sie rennt weg bis sie überwältigt mich. Erst als ich mich entspannte, bemerkte ich, dass ich von ihr was lernen kann, weil sie die Welt in ihrer kindlichen Freude sieht und einfach im Hier und Jetzt lebt – ein Zustand, nach dem ich mich oft sehne.
Ein anderes Erlebnis war, als ich zum ersten Mal eine Frau fütterte, die quasi vollständig gelähmt war, überhaupt gar nichts mehr bewegen konnte. Ich fütterte sie Tag für Tag, redete mit ihr – und wusste dabei gar nicht, ob sie überhaupt was versteht. Und dann – am letzten Tag – öffnete sie ihre Augen. Das war einfach schön.

Das Seniorenmagazin, welches sie in der Pilotphase ein Jahr lang als Projektleitung in den Markt einführten, verkauften sie nun an den Schwäbischen Zeitungsverlag. Ein weinendes Auge dabei?

Weinend möchte ich nicht sagen. Es war eine gute, sinnvolle Zeit, die ich nicht missen möchte und in der ich viel lernen durfte – ganz persönlich. Der seenior war natürlich ein „Baby“ von mir, doch der Kleine hat Laufen gelernt und ich kann ihn auch gut los lassen. Und bin auch sehr stolz darauf, dass das Projekt so erfolgreich wurde, das ist ja klar. Das ganze Projekt entpuppt sich als wertvolle Erfahrung, wie sich gerade zeigt, denn es gibt nicht allzu viele Menschen, die das Glück haben, über so einen langen Zeitraum hinter den Kulissen von Altenheimen und hautnah mit Alten zu leben. Diese Erfahrungen teile ich gern mit all denen, die sich, ihre Unternehmen und ihre Produkte weiterentwickeln wollen.

Rückblickend auf die 1 ½ Jahre Altenheim – was haben Sie ganz persönlich in der Zeit gelernt, was nehmen Sie mit?

Dankbarkeit und einen Hauch Ahnung, was Demut meint.

Und was lernten sie für ihre Arbeit als Journalistin?

Als Mensch meinen Platz an der Stelle einzunehmen, wo ich am besten dazu beitragen kann, dass das große Rad sich geschmeidig weiter dreht.
Als Journalistin könnte das zum Beispiel die angemessenen Zurückhaltung in der Verfolgung egoistischer Karriereziele bedeuten, die einhergeht mit wertschätzender Weitsicht und Klarheit für die wesentlichen Punkte, die unsere Gesellschaft voran bringt.

Frau Aufleger, wie geht’s weiter? Neue Eisen im Feuer?

(lacht) Wer mich kennt, weiß, dass ich immer Eisen im Feuer habe. Konkret beschäftige ich mich mit der Fragestellung „Wirtschaftlichkeit versus Menschlichkeit“ und entwickle integrative Lösungen für Einrichtungen und neue Wohnkonzepte.

Neue Zeitungskonzepte?

Sie fragen aber hartnäckig. Noch nichts, was schon ausgereift wäre und ausgeplaudert werden könnte. Will nur soviel verraten: Ich arbeite an einem Konzept, was die Lücke zwischen alt und jung schließen wird und neue Finanzierungsformen vorstellt, also weg vom einbrechenden Anzeigenmarkt.

Klingt spannend, freuen uns auf mehr. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch wurde am 10.03.2010 von M. Hornung, freie Journalistin der taz geführt und steht zur freien Veröffentlichung zur Verfügung.

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