AUSLESE
12. September 2022
LICHTBLICKE
27. November 2022
In meiner Freizeit halte ich Trauerreden und sitze immer wieder mit Trauerfamilien am Tisch. Vor kurzem wurde der Suizid eines jungen Mannes beklagt, Inhaber eines mittelständischen Betriebs – auch mir ging seine Geschichte sehr nah! Im Raum stand die Frage: „Warum hat er nichts gesagt, wir hätten ihm doch helfen können?“ Vor mir saßen Menschen, die es selbst in ihrer Trauer nicht schafften, einander zuzuhören, füreinander da zu sein, statt Mitgefühl nur gegenseitige Vorwürfe übrig hatten. Seine Schwester warf kleinlaut in die Runde: „Er hatte mich noch angerufen, wollte mit mir sprechen – aber ich hatte keine Zeit!“ Doch auch ihre Bemerkung gingen im kollektiven Schuldgefühl unter. „Er hat sonst nie gefragt, brauchte nie Hilfe! Heute würde ich alles geben, um ihm noch einmal zuhören zu dürfen.“

Warum erzähle ich das? Weil ich beobachte, dass es immer mehr Menschen gibt, die um Hilfe rufen und kein Gehör finden. Selbst von ihren Nächsten werden sie abgefertigt mit Worten: „Hab keine Zeit! Bin auf dem Sprung!“ Es sind die Kinder, die Arbeit, der Garten, der Mann, Verein, Ehrenamt… die jetzt wichtiger sind! Es scheint so, als treibe uns die Masse an Herausforderungen immer weiter auseinander – dabei sollten wir doch zusammenstehen, um in wandelnden Zeiten stark zu sein.
Wieviele Menschen haben Angst vor der nächsten Stromrechnung, fürchten Kälte und Armut? Unternehmer schreien auf, verzweifeln an der Perspektivlosigkeit und sehen ohnmächtig ihren Betrieb auf den sicheren Ruin zusteuern? Das ist sicherlich eines der härtesten Erfahrungen: ein Kind, den Geliebten oder den eigenen Betrieb zu Grabe zu tragen…
Rat-Schläge zu Waschlappen, Kniebeugen, etc. sind definitiv ein Schlag ins Gesicht für alle Betroffenen. Was es braucht ist vor allem eines: Mitgefühl!

Was die Schwester am Grabe ihrem Bruder traurig nachruft, macht ihn nicht mehr lebendig. Ihr Worte jedoch erinnern uns, was im Leben wichtig ist: Rechtzeitig hinhören und zusammenstehen!

Stefanie Aufleger | STEAUF.de

Stefanie Aufleger
akzent-Kolumne 2022/11